Ein Auszug aus dem Buch: „Quanten Physik für Hippies“: Der wissenschaftliche Prozess.
Ich: »Das kann ich einfach nicht glauben. Ich meine, ist die Wissenschaft nicht nur ein Glaubenssystem? Es könnte immer noch völliger Nonsens sein, stimmt’s?«
Alice: »Du hast recht, Wissenschaft ist ein Glaubenssystem. Aber es ist ein besonderes Glaubenssystem, da es das Produkt eines wunderbar eleganten Prozesses ist. Der Prozess bleibt derselbe, aber das Glaubenssystem entwickelt sich ständig weiter.«
Ich: »Okay, aber es ist immer noch nur ein Glaubenssystem, oder? Warum vertrauen ihm so viele Menschen blind?«
Alice: »Das Glaubenssystem, das durch den Prozess der Wissenschaft erzeugt wird, ist wie ein Haus, das Erdbeben, Gewitter, Einschläge von Meteoriten, Vulkanausbrüche, Napalm Angriffe, Feuer und natürlich den großen bösen Wolf, der versucht, es umzublasen, überlebt hat. Das wissenschaftliche Glaubenssystem überlebte nicht nur all diese Angriffe, es wird von ihnen auch dynamisch verbessert und weiterentwickelt, da diese gnadenlosen Angriffe ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses sind. Wenn du die Wahl hättest, würdest du lieber in einem Haus wohnen, dessen Widerstandsfähigkeit bereits immer wieder auf die Probe gestellt wurde, oder würdest du lieber in das Haus nebenan ziehen, das erst gestern gebaut wurde und etwas wackelig aussieht?«
Nun, wenn ein Umzug in dieses Haus bedeutet, dass man an die Ideen glaubt, aus denen es besteht, dann bevorzuge ich natürlich Ideen, die sich bereits vielen Angriffen widersetzt haben. Ich wünschte, ich könnte das zugeben. Aber ich kann es nicht.
Ich: »Aber kann Wissenschaft nicht jederzeit widerlegt werden?«
Alice: »Was benutzt du, um die Wissenschaft zu widerlegen?«
Ich: »Hmm, Wissenschaft?«
Alice: »Genau. Das meine ich damit, dass Wissenschaft ein Prozess ist. Die Sache ist, dass inzwischen viele unserer fundamentalen Theorien so oft und so heftig angegriffen wurden, dass wir uns ziemlich sicher fühlen können. Wir verwenden diese Theorien, um Dinge zu bauen, und sehen jeden Tag, wie außerordentlich gut sie funktionieren. Flugzeuge fliegen und stürzen fast nie ab. Der Motor eines Hippie-Vans funktioniert für Jahrzehnte. Wir können sofort fast alle vorhandene Musik hören. Wir können in Echtzeit mit Freunden auf der anderen Seite unseres Planeten sprechen und mit einem Knopfdruck eine Million Nerds beleidigen. Macht dich das nicht nachdenklich?«
Eine Million Nerds zu beleidigen, ist wahrscheinlich das Sinnvollste, was man mit einem Smartphone machen kann.
Ich: »Und was ist mit all den von großen Unternehmen finanzierten Studien, die nur veröffentlicht werden, wenn die Ergebnisse ihre Ziele unterstützen? Wie kannst du jemals so einer Wissenschaft dein Vertrauen schenken?«
Alice: »Ich verstehe, was du meinst. Hier müssen wir zwischen der Wissenschaft in unserer Gesellschaft und dem wissenschaftlichen Prozess unterscheiden. Kennst du den Unterschied?«
Ich: »Ich bin mir nicht sicher.«
Alice: »Wie Wissenschaft in unserer Gesellschaft betrieben wird, ist alles andere als optimal. Sie definiert, welche Ergebnisse veröffentlicht werden, wer die Autoritäten sind und wie Peer Review funktioniert. Sie ermöglicht Veröffentlichungen, die politisch, wirtschaftlich oder ideologisch motiviert sind. Es geht um Geld, Prestige, Stolz und Status. Und das ist natürlich höchst fragwürdig und zerstört letztendlich das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft an sich. Die Bevölkerung kann nicht mehr zwischen guter und schlechter Wissenschaft unterscheiden, und das schafft einen fruchtbaren Nährboden für Pseudowissenschaftsquacksalber. Und davon gibt es jede Menge. Vor allem im Internet.«
Alice scheint wütend zu sein. Ich verstehe das, denn ich bin auch wütend darüber. Obwohl Wut nicht mein Lieblingsgefühl ist, genieße ich unsere emotionale Verbindung.
Ich: »Total! Du weißt sicher wie einfach es ist, gefälschte wissenschaftliche Studien zu veröffentlichen. Und sie werden missbraucht, um Menschen irgendwelche ungesunden Medikamente anzudrehen, da sie es ja angeblich im Namen der Wissenschaft tun.«
Alice: »Ich stimme dir zu. Der Kernprozess der Wissenschaft ist jedoch trotz allem unglaublich erstaunlich. Obwohl es von diesem kaputten wissenschaftlichen System umgeben ist, funktioniert der Prozess offensichtlich. Wir können nicht bezweifeln, dass viele wichtige Erkenntnisse und fast magische Anwendungen aus diesem Prozess hervorgegangen sind. Schon mal was von Elektrizität gehört?«
Ich: »Schon mal was von Atombomben, Waffen und Kinderpornografie gehört?«
Alice sieht mich nachsichtig an.
Alice: »Kinderpornografie, wirklich? Ich verstehe deine Sichtweise. Aber sieh es mal so: Der wissenschaftliche Prozess ist wie ein Küchenmesser. Du kannst es verwenden, um ein köstliches Essen zuzubereiten oder um es jemandem ins Knie zu rammen. Es ist nicht die Schuld des Küchenmessers, was wir damit machen. Es ist unsere. Das Problem liegt in der menschlichen Psychologie und unseren eigenen egoistischen Absichten. Anstatt der Wissenschaft die Schuld zu geben, sollten wir endlich erwachsen werden.«
Verdammt, sie hat recht. Ich habe in mehreren Gemeinschaften gelebt und weiß genau, wovon sie spricht. Wir mögen wie Erwachsene aussehen, aber in jedem von uns lebt ein kleines Kind. Wenn dieses Kind getriggert wird, indem es seine Bedürfnisse nicht befriedigt sieht, kann sich selbst die reifste Person wie ein kompletter Idiot verhalten. Die größte Lektion, die ich bisher im Leben gelernt habe, ist, dass wir alle verrückt sind. Der einzige Unterschied ist, dass es einige Leute wissen und andere nicht. Und diejenigen, die es nicht wissen, sind die gefährlichsten.
Ich: »Okay. Dann erklär mir doch mal, wie der wissenschaftliche Prozess funktioniert.«
Alice: »Sehr gern! Der wissenschaftliche Prozess ist ein kreativer, evolutionärer Auswahlprozess, der der Evolution sehr ähnlich ist. Aber anstatt Gene zu testen, indem die Natur versucht, sie zu töten, testet die Wissenschaft Ideen und Erklärungen, indem sie versucht, sie zu widerlegen. Und diese Ideen stammen aus der menschlichen Intuition. Der wissenschaftliche Prozess nimmt diese Ideen ernst, greift sie rational an und testet sie dann mit Hilfe von Experimenten. Die schönen Ideen, die viele verschiedene Dinge erklären und viele Angriffe überstehen, werden dann zu vertrauenswürdigen Theorien.«
Ich: »Intuition? Was hat Intuition mit Wissenschaft zu tun?«
Alice: »Was meinst du, wie ist Schrödinger auf seine Gleichung gekommen?«
Ich: »Ich habe keine Ahnung.«
Alice: »Er hat sie erraten. Zugegeben, ein sehr fundiertes Raten, aber am Ende hat er einfach nur verdammt gut geraten.«
Er hat sie einfach erraten? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber gut, woher kommen Ideen? Woher kommen Fragen? Woher sonst, als von menschlicher Intuition?
Ich stelle mir Blasen aus Ideen vor, die aus dem Ozean der Intuition blubbern. Aber sobald sie anfangen aufzusteigen, bringt sie ein Nerd mit einer Steinschleuder nacheinander zum Platzen. Schlechte Ideen platzen sofort, und gute Ideen überleben viele Angriffe. Den Ideen, die sich weigern, von einer ganzen Armee von Nerds erschossen zu werden, fangen wir langsam an zu vertrauen.
Das macht wirklich Sinn. Und dieser einfache Prozess erschafft den größten Teil unseres Wissens und unserer Technologie? Unglaublich. Auf der anderen Seite ist der Prozess der Evolution auch nicht besonders kompliziert, und der brachte sogar uns Hippies in die herrliche Existenz.
»Alle Religionen, Künste und Wissenschaften sind Zweige desselben Baumes. Alle diese Bestrebungen zielen darauf ab, das Leben des Menschen zu veredeln, es aus der Sphäre der bloßen physischen Existenz zu heben und das Individuum in die Freiheit zu führen.«[1] -Albert Einstein
Ich: »Wow. Intuition und Rationalität haben also eine Affäre, und Wissenschaft ist ihr Baby.«
Alice: »So sieht’s aus. Der Tanz zwischen Intuition und Rationalität erzeugt automatisch ein vertrauenswürdiges Glaubenssystem. So vertrauenswürdig, dass wir damit zum verdammten Mond geflogen sind. Und bald zum Mars.«
Faszinierend. Ich frage mich, ob der wissenschaftliche Prozess nicht nur für unseren technologischen Fortschritt nützlich ist, sondern auch für jeden Menschen, der nach Antworten sucht. Was suchen wir, wenn nicht die Wahrheit? Die Wahrheit über uns selbst? Der wissenschaftliche Prozess wird uns niemals direkt die Wahrheit sagen. Aber er arbeitet wie ein Bildhauer, der alles entfernt, was nicht wahr ist. Und die übrigbleibende Skulptur könnte atemberaubend schön sein.
[1] Albert Einstein, Out of My Later Years: The Scientist, Philosopher, and Man Portrayed Through His Own Words
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