Leseprobe: Welle-Teilchen-Dualismus

Ich: Was soll denn dieser Welle-Teilchen-Dualismus sein?

Alice greift nach ihrer Tasche und holt ein kleines Stück Pappe heraus. Als sie es über den Tisch hält, bemerke ich zwei winzige Spalte in der Mitte.

Alice: »Konzentriere dich auf den Schatten der Pappe. Was siehst du?«

Ich: »Nur zwei kleine und verschwommene weiße Streifen in der Mitte eines rechteckigen Schattens.«

Alice greift in ihre Tasche und nimmt einen kleinen Laserpointer heraus, schaltet ihn ein, und richtet ihn auf die

Spalte. Auf dem Tisch erscheint ein kompliziertes rotes Muster. Mehrere Streifen. Alle nebeneinander.

Alice: »Und jetzt?«

Ich: »Jetzt sehe ich mehrere Streifen, ungefähr sieben. Aber die Karte hat nur zwei Spalte. Wie ist das möglich?«

Doppelspalt - Quantenphysik für Hippies - Lukas Neumeier

Ein auf einen Doppelspalt fokussierter Laser erzeugt ein sogenanntes Interferenzmuster auf dem Tisch. Notiz für Nerds: Spalte und Muster nicht maßstabsgetreu, aber es funktioniert.

Alice: »Das liegt daran, dass sich Licht wie eine Welle verhält. Verschiedene Teile der Lichtwelle fliegen durch die beiden Schlitze in der Karte. Danach breiten sich diese beiden Teile aus und mischen sich zu einem komplexen Muster.«

Ich: »Wie können Wellen denn ein komplexes Muster erzeugen?«

Alice: »Wellen unterscheiden sich von Tennisbällen nicht nur darin, dass sie über eine große Fläche ausgebreitet sind. Wellen können sich im Gegensatz zu Tennisbällen auch gegenseitig auslöschen. Ein Tennisball plus ein weiterer Tennisball ergeben immer zwei Tennisbälle. Aber eine Welle plus eine Welle kann Nichts ergeben.

Das passiert genau dann, wenn Wellenberge auf Wellentäler treffen. Sie löschen sich gegenseitig aus. Diese dunklen Streifen zwischen den hellen Streifen auf dem Tisch sind genau die Stellen, an denen sich die Lichtwellen auslöschen. Licht plus Licht kann Dunkelheit ergeben. Schall plus Schall kann Stille ergeben. So funktionieren übrigens auch diese Noise Cancelling Kopfhörer. Wir nennen dieses Phänomen destruktive Interferenz

Wellenberge und Wellentäler - Quantenphysik für Hippies - Lukas Neuemeier

Wenn Wellenberge auf Wellentäler treffen, löschen sich Wellen gegenseitig aus.

Ich: »Abgefahren. Und warum passiert das nur mit einem Laser und nicht mit Sonnenlicht?«

Alice: »Das Licht der Sonne ist ein bisschen anders als das Licht eines Lasers. Ein Laser ist wie ein Meer, in dem die Wellen sehr regelmäßig sind, sich alle in die gleiche Richtung bewegen, und den gleichen Abstand haben. Sonnenlicht hingegen ist eher so, als ob jemand Hintern voran in einen kleinen Pool gesprungen wäre. Wellen unterschiedlicher Formen und Größen bewegen sich in alle möglichen Richtungen. Die Regelmäßigkeit der Laserwelle macht das Muster sichtbar. Beim Sonnenlicht wird das Muster verwischt. Wenn wir so ein Interferenzmuster sehen, dann wissen wir, dass wir es mit schönen, regelmäßigen Wellen zu tun haben.«

Ich: »Okay, Licht ist also eine Welle. Was ist daran so seltsam?«

Alice: »Es ist seltsam, weil Licht keine Welle ist. Licht besteht aus kleinen Energiepaketen, die sich wie winzige Tennisbälle verhalten. Genau wie dein Körper aus winzigen Atomen besteht, besteht jeder Lichtstrahl aus winzigen Paketen aus Energie, die wir Photonen nennen. Man kann sie sogar zählen und nacheinander auf Dinge schießen. Es gibt mittlerweile Kameras, die empfindlich genug sind, um ein einzelnes Photon zu registrieren. Und wenn wir so eine benutzen, um zu sehen, wo sich so ein Photon befindet, dann finden wir sie immer nur an einem bestimmten Ort und nicht ausgebreitet wie Wellen.«

Ich: »Okay, das ist wirklich seltsam. Aber spinnst du? Hast du immer Laser und Pappe dabei, falls ein verlorener Hippie vorgibt, sich für Quantenphysik zu interessieren?«

Alice: »Du hast ja keine Ahnung, Bob. Du bist heute schon der fünfzehnte Hippie.«

Ich: »Nicht schlecht. Du musst wirklich von diesem Zeug besessen sein. Du sagst also, dass sich Licht wie eine Welle und auch wie ein Teilchen verhält. Aber Licht kann doch nicht gleichzeitig eine Welle und ein Teilchen sein?«

Alice: »Das erklär ich dir am besten mit einer Metapher. Schau dir diese unglücklicherweise leere Bierdose an. Es ist ein dreidimensionales Objekt. Stell dir nun vor, du könntest nur ihren Schatten wahrnehmen. Wenn ich die Dose senkrecht ins Licht halte, sieht ihr Schatten aus wie ein Kreis, oder? Aber wenn ich die Dose horizontal drehe, sieht ihr Schatten aus wie ein Rechteck. Was ist nun die Dose? Ist sie ein Kreis oder ein Rechteck?«

Welle Teilchen Dualismus - Quantenphysik für Hippies - Lukas Neumeier

Der Schatten einer Bierdose kann sowohl rechteckig als auch kreisförmig sein. Der Welle-Teilchen Dualismus, erlaubt Materie und Licht sowohl ein Teilchen als auch eine Welle zu sein.

Klingt nach einer erweiterten Version von Platons Höhle.

Ich: »Alter, keins von beidem. Es ist ’ne Bierdose.«

Alice: »Ja, genau. Eine Bierdose ist dreidimensional. Die Verwirrung kommt nur auf, wenn wir versuchen, anhand ihrer zweidimensionalen Schatten herauszufinden, was sie ist. Und das gleiche passiert, wenn wir verstehen wollen, was Atome und Licht sind. Selbst unsere besten Messinstrumente können nur die niedrigeren dimensionalen Schatten der Realität wahrnehmen.

Manchmal sieht ihr Schatten aus wie eine Welle und manchmal wie ein Tennisball. Aus unserer begrenzten Perspektive scheint dies ein Widerspruch zu sein, aber dieser Wellen-Teilchen-Dualismus zeigt uns nur die Grenzen unserer menschlichen Vorstellungskraft. Das verwirrt viele Menschen, weil wir gerne glauben, dass wir die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind.

Aber wenn etwas zwei sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften gleichzeitig hat, dann widerspricht das diesem Glauben und wir müssen uns eingestehen, dass wir die Dinge eben nicht so sehen, wie sie wirklich sind. Der Welle-Teilchen-Dualismus zeigt uns, dass die Realität viel spannender ist, als unsere wildeste Fantasie sie sich ausmalen kann.«

 

Was denkst du über den Welle-Teilchen-Dualismus?

Quantenphysik fuer Hippies - Lukas Neumeier

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